Karl-Heinz Theußen ist seit 1988 Geschäftsführer der sci:moers GmbH. Seitdem ist er damit beschäftigt, „das Unternehmen“, also Angebote, Mitarbeitende, Leitung etc. an den teilweise gravierenden Wandel des Marktes „Arbeit und Qualifizierung“ anzupassen. Im Interview beschreibt er, wie Leitungskräfte und Mitarbeitende es geschafft haben, die Angebotspalette komplett umzugestalten, um überlebensfähig zu bleiben. Karl-Heinz Theußen (KHT) engagiert sich an unterschiedlichen Stellen im Paritätischen Wohlfahrtsverband für die Weiterentwicklung sozialer Arbeit und ist auf Bundesebene als Bundesjugendplan-Koordinator tätig. Andreas Rauchfuß (AR) führte das Interview mit ihm.
AR: Herr Theußen, Ihr Unternehmen hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Was hat sich bei Ihnen ganz konkret verändert?
KHT: Wir haben einen Wandel vollzogen von einem in der Vergangenheit stark auf Arbeitsmarktförderung und Jugendberufshilfe ausgerichteten Träger zu einem Träger, der heute sehr breit im Bereich der Jugendhilfe aufgestellt ist – und der weiterhin partiell in Bereichen der Jugendberufshilfe und Arbeitsmarktförderung tätig ist. War früher das Verhältnis Arbeitsmarkt/Jugendberufshilfe zu Jugendhilfe in etwa 70 zu 30, haben wir es nun auf 30 zu 70 gedreht.
AR: Wie lange hat dieser Wandel in etwa gedauert?
KHT: Der konkrete Wandlungsprozess hat ca. 4 -7 Jahre gedauert, allerdings hatten wir bereits 2003 erste Überlegungen dazu angestellt.
AR: Gab es Veränderungen in der Umwelt des sci, die den Wandel ausgelöst haben?
KHT: Ja, die Änderungen waren schon Anfang der 2000er-Jahre absehbar: Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik, das Aufkommen und sich immer mehr Verbreiten von Ausschreibungsmaßnahmen, von Preisabhängigkeit und so weiter. Das hat uns letztendlich dazu geführt, zu überlegen: „Ist das noch die richtige Existenzgrundlage für uns?“ Auch im wirtschaftlichen Sinn.
AR: Das Wissen und die Ahnung, dass Preise schlechter, dass Ausschreibungsverfahren härter werden, waren ja oft lange Zeit schon vorhanden. Gab es bei Ihnen etwas, was sozusagen „das Fass zum Überlaufen“ gebracht hat, gab es einen besonderen Auslöser, der Sie wirklich etwas ändern ließ?
„Wir haben uns Zeit genommen und in die Zukunft geschaut.“
KHT: Ja – und es war weniger die finanzielle Not, sondern eigentlich die Einsicht: Es wird nicht so weitergehen wie bisher!! Wir haben uns Zeit genommen und in die Zukunft geschaut: Wie geht es im Bereich der Arbeitsmarktförderung weiter, auch im Zuge der aufkommenden Diskussion um die Reformierung der Arbeitsmarktförderung mit HARTZ IV usw. Und wir haben auch eine Rückschau gehalten und festgestellt, dass Arbeitsmarktförderung schon immer ein politischer Spielball war. Das es immer ein Auf und Ab gegeben hat in der Arbeitsmarktförderung. Anfänglich in den 80er–Jahren mit der aufkommenden Jugendarbeitslosigkeit, dann in den 90er–Jahren mit der Wiedervereinigung und dem massiven Aufbau und Abbau von Angeboten. Das waren für uns, mit der sich abzeichnenden demographischen Veränderung und der HARTZ IV Diskussion, gewisse Frühindikatoren.
AR: Ich übersetze es für mich: Sie haben Ihre Vorstellungen darüber, wie sich die Rahmenbedingungen in der Zukunft darstellen, auf den Punkt gebracht, die eigene Arbeit ernst genommen und dann Ihr Handeln daran ausgerichtet. Das ist konsequent! Ein anderes Thema: Sie haben ungefähr 7 Jahre für den Wandel Ihres Unternehmens benötigt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
KHT: Wir haben zunächst eine strategische Diskussion geführt. Zu Beginn stand natürlich die Frage: Was wollen wir, wo soll es hingehen? Die Frage haben wir im Rahmen eines Balanced–Scorecard-Prozesses bearbeitet. Ein externer Berater hat den Prozess moderiert – den wir sehr systematisch über fünf Jahre betrieben haben! Uns hat es sehr geholfen, mindestens jährlich unsere selbst entwickelten und für uns wichtigen Kennziffern zu diskutieren. Wir gingen immer sehr konkret vor: wo entstehen neue Bedarfe, wo müssen wir neue Angebote ableiten? Auch die Frage, wo sich außerhalb der Arbeitsmarktförderung ausschreibungunsabhängige Programme entwickeln, war natürlich interessant.
AR: Wie haben Sie die Mitarbeitenden eingebunden?
KHT: Wir haben das primär auf der Leitungsebene gemacht: Alle Leitungskräfte haben an allen Planungs- und Beratungsterminen teilgenommen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben wir punktuell einbezogen. Wenn sich in den Rahmenbedingungen, insbesondere in der Arbeitsmarktförderung, Veränderungen abzeichneten, haben wir frühzeitig immer wieder informiert – ohne allerdings Panik auszulösen. Aber wir wollten auch keine falsche Sicherheit vermitteln, nach dem Motto: Es wird alles gut. Wir haben schon offen klar gemacht, dass sich das Schiff „Arbeitsmarktförderung / Jugendberufshilfe“ auf sehr wankendem Wasser bewegt. Wir haben also ein Stück der Unsicherheit an die Mitarbeitenden weitergegeben.
„Keine falsche Sicherheit vermitteln.“
AR: In Beratungsprozessen sind wir manchmal mit folgender Sicht von Geschäftsführenden konfrontiert: „Die Mitarbeitenden wissen doch, wie schlecht es um uns steht, dass es so nicht weiter geht. Ich erwarte auch von ihnen Lösungen, dass sie zum Beispiel neue Angebote entwickeln!“ Wie ist da Ihre Einschätzung?
KHT: Die Erfahrung ist die, dass in einer solchen Situation die Mitarbeitenden im Grunde dann hinzugezogen werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Dann hat die Geschäftsführung zu spät reagiert. Wenn es schon massive Probleme gibt, kommen Existenzängste bei den Mitarbeitenden hinzu. Das führt zu einem Mitwirken unter Druck und Furcht – und hat eine andere Qualität! Besser ist es zu sagen: Wir haben folgendes Szenario entwickelt, wir müssen uns auf Veränderungen einstellen. Die stehen nicht morgen an, aber mittelfristig! Dann hat man eine angemessene Reaktions- und Mitwirkungszeit.
AR: Haben Sie Personal für Entwicklungsaufgaben freigestellt?
KHT: Nein, die Kapazitäten hatten wir nicht. Wir haben das durch Umverteilungen von Aufgaben geregelt.
Wir haben keine Abteilung „Forschung und Entwicklung“ mit eigenständiger Kapazität gehabt. Dafür hatten wir die Ressourcen nicht. Aber wir haben uns externe Unterstützung organisiert.
AR: „Neue Angebote entwickeln“ als strategische Lösung fokussiert eher auf den Umsatz. Hat sich der Wandel auch auf die Kosten, zum Beispiel den Over-Head, bezogen?
KHT: Wir hatten vorausschauend unterschiedliche Szenarien angestellt: Wie werden sich Preise entwickeln, was bedeutet das für unsere Kosten? Es war klar, dass Preise im Sektor der Arbeitsmarktförderung und Jugendberufshilfe nicht auskömmlich oder berechenbar sind. Das war ein Antrieb für Veränderungen. Aber: wir hatten schon immer einen niedrigen Over-Head-Faktor. An dieser Stelle war es für uns nicht bedrohlich. Was wir dann allerdings konsequent umgesetzt haben: wir haben unsere Prozesse optimiert! Und dabei haben wir uns an den Anforderungen einer Planungs- und Dokumentationssoftware orientiert – wir haben nicht die Software an die Prozesse angepasst! Es war schwierig, hat aber Klarheit in unsere Prozesse gebracht und auch geholfen, die Kosten für Verwaltung und Dokumentation zu senken.
AR: Ich bedanke mich für das interessante Interview!