Gerade für junge Führungskräfte ist die Frage interessant, wann beim Führen aus „Beeinflussen“ „Manipulieren“ wird. Mit der Hausaufgabe „Bitte bewegen Sie bis morgen jemanden dazu, etwas zu tun, was er/sie eigentlich nicht vorhatte. Reich mir den Zucker! ist als Verhaltensaufforderung zu wenig.“ stoßen wir in unseren Führungskräfteseminaren diese Diskussion an.
Die Aufgabe, jemanden bewusst, absichtlich und zielgerichtet zu beeinflussen, ohne ihn darüber zu informieren, lässt Führungskräfte über die Legitimität und Grenzen von Beeinflussung und Führung nachdenken. Erschwerend ist an dieser Aufgabe für manche, dass wirklich nur ihre Absicht und ihr Wille Grund der Beeinflussung sind – sie können sich bei der Übung nicht darauf berufen, quasi im Auftrag höherer Mächte (Qualitätsmanagement, Chefin, Kostendruck) zu handeln.
Andere Führungskräfte haben regelrecht Spaß an der Übung und freuen sich über ihre eigenen Erfolge. Meine persönliche Vermutung ist, dass die Frage „Wo werden beim Führen die Grenzen hin zur Manipulation überschritten?“ sich insbesondere Menschen stellen, die noch nicht sehr lange führen und sich Leitungskräfte mit ihr auseinander setzen, die in Kontexten arbeiten, bei denen das Selbstbestimmungsrecht und der freie Wille ihrer Kundinnen oder Klienten einen hohen Wert haben. Anders ausgedrückt: ich vermute, der langjährige Geschäftsführer, der das Marketing für SATURN und MEDIA Markt verantwortet, wird die Relevanz der Frage anders einschätzen und die Grenze zur Manipulation anders ziehen als eine Teamleiterin einer Weiterbildungsakademie.
Statt Definitionen von Beeinflussung und Manipulation biete ich an diese Stelle eine Art Checkliste an, anhand derer Sie ihre eigene Grenzziehung definieren können.
Ich versuche, bei anderen Menschen eine Verhaltensänderung zu bewirken.
„Unsere Geschäftsführerin, Frau X kommt morgen.“
Ich versuche, bei anderen Menschen zielgerichtet eine Verhaltensänderung zu bewirken.
„Ich würde mich freuen, wenn Sie morgen eine Stunde länger bleiben könnten.“
„Bitte bleiben Sie morgen eine Stunde länger, unsere Geschäftsführerin, Frau X, kommt zu uns.“
Ich bewirke bei anderen Menschen zielgerichtet eine Verhaltensänderung, die zu meinem Vorteil ist.
„Bitte bleiben Sie morgen eine Stunde länger, es kommt Frau X zu uns. Ist immer gut, wenn noch jemand im Haus ist.“ (X ist erfreut, wenn auch nach Dienstschluss noch Mitarbeitende im Haus sind. Daran erkennt Sie meine Fähigkeit, zu motivieren.)
Ich bewirke bei anderen Menschen zielgerichtet eine Verhaltensänderung, die zu meinem Vorteil ist und informiere bewusst nicht über mögliche Konsequenzen für sie.
„Bitte bleiben Sie morgen eine Stunde länger, Frau X, unsere Geschäftsführerin, kommt zu uns. Ist immer gut, wenn noch jemand im Haus ist.“ (Kann natürlich sein, dass Sie dann von Frau X gebeten werden, bei der Vorbereitung der Weihnachtsfeier „freiwillig“ zu helfen, da fehlen Leute.)
Ich bewirke bei anderen Menschen zielgerichtet eine Verhaltensänderung, die zu meinem Vorteil ist, informiere bewusst nicht über klare Konsequenzen für sie und lasse absichtlich negative Konsequenzen für mich aus dem Spiel.
„Bitte bleiben Sie morgen eine Stunde länger, es kommt Frau X, unsere Geschäftsführerin, zu uns. Ist immer gut, wenn noch jemand im Haus ist. Dann müsste ich auch nicht ganz allein mit ihr sprechen und Sie lernen sie mal näher kennen. (Frau X hat bei ihren Besuchen in anderen Häusern Mitarbeitende quasi dienstverpflichtet, freiwillig die Weihnachtsfeier vorzubereiten. Wenn aus unserem Haus keiner mitmacht, bekomme ich Druck und eine schlechte Beurteilung.)
„Wie offen wird der Versuch der Einflussnahme gemacht?“ bzw. „Ich muss offen sagen, was ich will!“ sind weitere Aspekte in den Diskussionen über (lautere, „gute“) Einflussnahme und (unlautere) Manipulation. In Wikipedia ist zum Begriff Manipulation folgendes zu lesen: „Darüber hinaus ist Manipulation auch ein Begriff aus der Psychologie, Soziologie und Politik und bedeutet die gezielte und verdeckte Einflussnahme, also sämtliche Prozesse, welche auf eine Steuerung des Erlebens und Verhaltens von Einzelnen und Gruppen zielen und diesen verborgen bleiben sollen (Camouflage, Propaganda).“
Aus systemischer Sicht muss es hier übrigens heißen, „die versuchte … Einflussnahme“, denn menschliches Verhalten ist, anders als physikalische Phänomene, nicht exakt zu steuern. Außer in extremen Zwangssituationen haben Menschen im Prinzip immer die Möglichkeit, aus mehreren Handlungsoptionen zu wählen. Das sieht die mächtigste Frau (Merkel) der Welt anders, indem sie wiederholt sagt, ihre Politik sei alternativlos. Ist das ein verdeckter und damit womöglich unlauterer Versuch, Menschen zu beeinflussen? Aus meiner Sicht ist der Beeinflussungsversuch offensichtlich – das aus meiner Sicht Kritische ist, dass mit der Aussage andere Wirklichkeiten und Optionen und auch die eigene Verantwortung für die Wahl ausgeblendet werden sollen.
Mein persönliches Fazit
Mir erscheint das Kriterium verdeckt/offen weniger hilfreich und wenig alltagstauglich, um unlautere Manipulation zu identifizieren: „Ich lobe Sie jetzt, weil ich ihre Arbeit wirklich gut finde und weil ich Sie anspornen möchte, weiter so engagiert zu arbeiten!“. Das ist eher sperrig als hilfreich.
Für mich ist das bewusste Verschweigen von Informationen, die für den anderen wichtig sein könnten, ein Indiz dafür, dass ich mich von der Beeinflussung zur Manipulation bewege. Dabei finde ich es eher manipulativ, wenn ich nicht über Konsequenzen informiere, als wenn ich nicht über meine Absicht informiere.
Andreas Rauchfuß, Juni 2015