Was ist zu beachten?
Wenn – systemisch betrachtet – eine Organisation aus Kommunikation besteht, dann ändert sich die Organisation, indem sich die Kommunikation ändert. Zu überprüfen, ob die Art und Weise von Kommunikation noch zur Existenzsicherung der Organisation beiträgt oder sie gefährdet, gehört zur Rolle von Führungskräften. Sehen sie Risiken, sollten sie Änderungsmaßnahmen initiieren. Auf Kommunikation bezogen bedeutet das, dass Leitungskräfte z. B. versuchen, den Fokus der innerbetrieblichen Kommunikation zu ändern. Sie versuchen zu beeinflussen, worüber gesprochen wird, was wahrgenommen wird, was eine Bedeutung bekommt oder auch, wie etwas bewertet wird.
Verändern auf der Mikro-Ebene
Viele kennen es aus eigener Erfahrung: plötzlich prallen in einer Teamsitzung zwei Sichtweisen / KollegInnen aufeinander und die Positionen verhärten sich, das Ziel der Diskussion gerät aus dem Blick und sie wird unsachlicher. Es geht um Gewinnen oder Verlieren. Das kleine Wort „aber“ leistet einen wichtigen Beitrag zum Entstehen und Aufrechterhalten von Positionskämpfen.
„Ja, Qualität ist wichtig, ABER wir müssen auch auf die Kosten achten.“ Diese Art von Argumentation ist gebräuchlich, fällt nicht auf.
„Ich esse Fleisch, ABER auch Gemüse.“ Hier wäre man zumindest irritiert.
„Sein Vater ist Syrer, ABER er studiert.“ Das würde einige Menschen anregen, über die implizit angebotene Sichtweise (Kinder syrischer Eltern studieren nicht) zu reden.
Ersetzen Sie in den drei Beispielen das ABER durch ein UND, werden Sie merken, dass ein UND Dinge nebeneinander stellt – nicht gegeneinander wie ein ABER. Ein UND lädt zu Kooperation ein: Wie können wir es schaffen, Qualität und Kosten zu beachten?
Indem Leitungskräfte oder auch Mitarbeitende immer wieder ein UND einfordern bzw. auf die negative Wirkung von ABER hinweisen, kann sich eine konstruktivere Kommunikation entwickeln.
Das UND steht stellvertretend für andere „Gesprächs- und Ergebnisförderer“. Ein anderer Förderer oder auch Fokusverschieber ist z.B. „Was ist Ihnen Positives aufgefallen?“, wenn ausdauernd und ausschließlich Kritik geübt wird am Verhalten von Kunden/Leitung/Kollegen oder den Umständen.
Verändern auf der Makro-Ebene
Als Makro-Ebene verstehe ich hier Organisationsstruktur, Leistungsprofil/Angebote und Personalstruktur. Änderungen in diesen Bereichen sind z.B. neue Abteilungszuschnitte oder Leitungsstrukturen, neue Dienstleistungen oder neu erforderliche Berufsabschlüsse/Qualifikationen bei den Mitarbeitenden. Kommt Leitung zu dem Schluss, dass sich in diesen Bereichen etwas ändern muss, werden die Mitarbeitenden mit deutlich mehr und für sie bedeutsameren Auswirkungen (als Aber durch UND zu ersetzen) konfrontiert: andere Aufgaben, Kommunikationswege, Vorgesetzte, Arbeitszeiten …
Leitung sollte sich bei Änderungsvorhaben auf der Makro-Ebene bewusst sein, dass sie nicht nur die Kommunikation der Mitarbeitenden verändern will, sondern dass Mitarbeitende die Kommunikation der Leitung verändern wollen und es sich damit um einen zirkulären Prozess handelt. Im Prinzip geht es darum, einen Verhandlungsprozess von Beginn an konstruktiv zu gestalten. Gehandelt wird „Kommunikation“: worauf achte ich, wie bewerte ich das, worüber rede ich (nicht) … . Das möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen.
1. Außenorientierung versus Innenorientierung
Eine Beratungsgesellschaft mit ca. 30 Mitarbeitenden fragt eine Organisationsentwicklung an. Im ersten Gespräch wird schnell deutlich, dass die Geschäftsführerin darunter die Erstellung eines Leitbildes unter Beteiligung der Mitarbeitenden versteht. Nur daran lässt sich sinnvollerweise die Organisation neu ausrichten. Für die Mitarbeitenden ist die Klärung von Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen, Lösung aktueller Konflikte und die gerechte Verteilung von knappen Büroräumen eine Bedingung, um überhaupt über ein Leitbild nachdenken zu können.
Beide Parteien hatten jeweils die Einschätzung, dass der anderen Seite die Bedeutung und die Wichtigkeit der anderen Position „nicht klar ist“ – was eigentlich bedeutet: „Die andere Seite gewichtet mein Anliegen für die Existenzsicherung der Organisation geringer als ihr eigenes“.
Als Ergebnis wurde vereinbart, zunächst den Fokus auf die interne Zusammenarbeit zu richten und nach ca. 4 Monaten, also nicht nach kompletter Bearbeitung der internen Themen, mit der Erarbeitung eines Leitbildes zu beginnen.
2. Neue Strategie versus funktionierende Prozesse
Der Geschäftsführer eines in vier Jahren von 5 auf 25 Mitarbeitende gewachsenen Fitnessstudios möchte ein neues Standbein entwickeln und mit der Gesellschaft in den Reha-Bereich wachsen, um langfristig die Existenz zu sichern. Mitarbeitende sollen Vorschläge einbringen und sich an einer entsprechenden Arbeitsgruppe beteiligen. Das neue Angebot hätte Auswirkungen auf die Raumnutzung, auf Dienstpläne und erfordert fachliche Fortbildungen. Nach Bekanntgabe des Vorhabens und der Bitte um Beteiligung beginnen Mitarbeitende zu murren, beteiligen sich nicht, die Stimmung verschlechtert sich. Erst als eine Arbeitsgruppe mit Beteiligung des Geschäftsführers beginnt, sich um Probleme in den Arbeitsabläufen zu kümmern (Dienstplangestaltung, Raumbelegung, gerechtes System für Sauberkeit des Pausenraums …), erklären sich 4 Mitarbeitende (nun gerne) bereit, gemeinsam mit ihrem Chef am neuen Konzept mitzuwirken.
Fazit
Veränderungen auf der Makro-Ebene bedürfen guter Vorbereitung und der Bereitschaft und Fähigkeit, die Sichtweisen, Vorschläge und Bedürfnisse von Beteiligten mit anderen Perspektiven zu verstehen. Das gilt insbesondere für die Personen, die Veränderungen initiieren wollen, also oft für Leitungskräfte.
Nehmen Mitarbeitende wahr, dass Leitungskräfte ihre Sichtweisen und Bedürfnisse verstehen, steigt (häufig) die Bereitschaft, auch auf den ersten Blick für sie schwierige Maßnahmen mitzutragen bzw. konstruktiv darüber zu verhandeln. Führungskräfte sollten von sich aus den Beweis antreten, dass sie die andere Perspektive, den anderen Fokus verstanden haben – indem sie kommunizieren, was sie verstanden haben. Das scheint banal, ist allerdings nicht durchgängige Praxis.
Für Veränderungen mit bedeutsamen Auswirkungen auf den Arbeitsalltag von Mitarbeitenden sollte genügend Zeit eingeplant werden. Dann ist es z.B. noch möglich, zuerst Themen und Anliegen der Mitarbeitenden zu bearbeiten. Unter Zeitdruck kann es schnell passieren, dass Einwände von Mitarbeitenden als Widerstand empfunden und so behandelt werden. Das kostet in der Regel Zeit und Nerven. Mit zeitlichem Spielraum können Führungskräfte mit einem UND in die „Verhandlung“ gehen: „Wie können wir es schaffen, in einem Jahr eine neue Strategie und funktionierende Prozesse zu gestalten?“
Andreas Rauchfuß