Nudging und Systemisches verbinden

Das Virus hat die Welt der Besprechungen komplett verändert. Sie fallen aus, finden online oder hybrid statt, finden kürzer oder öfter statt. Dieser von außen initiierte „Change“ führt auch dazu, dass über Besprechungen reflektiert wird. Wofür eignen sich Onlinebesprechungen, was war früher besser, wie können wir digitale Tools für unser angestaubtes Besprechungswesen nutzen, können wir nicht einfach 30 Minuten kürzer tagen? Die Gewöhnung an suboptimale Besprechungen und ihre Unveränderbarkeit weicht dem Mut und der Lust auf Neues und Ausprobieren.

Vieles spricht dafür, die aktuelle Situation zu nutzen, um Besprechungen jetzt in den Fokus zu rücken und besser zu machen. Die alte Form existiert (oft) nicht mehr, wir konnten nicht nicht lernen und das Neue ist noch nicht etabliert.

Ich stelle hier zwei Strategien zur Verbesserung von Besprechungen vor. Zum einen können Sie ganz konkrete Strukturimpulse setzen: kürzere Tagungszeit, weniger oder andere Teilnehmende, neue Dokumentationsform. Zum anderen können Sie durch systemisches Reflektieren zu neuen Haltungen und Handlungen kommen. Beide Strategien zu kombinieren erscheint mir die beste Wahl.

100 Strukturimpulse finden Sie im Buch „MEET UP! Einfach bessere Besprechungen durch Nudging“. Es bietet ein System zur Analyse und Optimierung von Besprechungen und viele zum Teil überraschende Tipps (Nudges), wie Meetings verbessert werden können.

Nudging ist ein Ansatz, um Menschen durch subtile Impulse oder Stupser (Nudges) zu einer vom Initiator gewünschten Verhaltensänderung zu bewegen. Zwei Beispiele rund um das Thema Gesundheit verdeutlichen das Prinzip: Menschen werden animiert, die Treppe statt der Rolltreppe zu nutzen, indem sie auf den Stufen durch ihre Tritte Klänge erzeugen können. Werden kleinere Teller verwendet, sieht das Essen größer aus, wir füllen weniger auf und essen weniger. Die Verfechter*innen des Ansatzes verweisen darauf, dass Nudging auch bedeutet, keinen Zwang auszuüben und Wahlmöglichkeiten dazugehören. Ich kann die Rolltreppe nehmen, ich kann meinen Teller zweimal füllen.

Im Buch werden vier Hebel für bessere Meetings vorgestellt:

– Fokus: die Konzentration auf das Wesentliche fördern, die Menge an und Dauer von Meetings reduzieren.

– Orientierung: durch explizite Gesprächssteuerung kontinuierlich für Orientierung und Verständigung sorgen.

– Involvierung/Beteiligung: durch einfache Prozesse (zum Beispiel 2er-Gespräche) und Regeln (Feedback) Aufmerksamkeit und Aktivität erzeugen.

– Verpflichtung: durch Transparenz Verantwortung fördern.

Die Unterteilung erscheint relativ plausibel und relativ bekannt. Spannender wird es, wenn auf Basis der Grundprinzipien konkrete Nudges „erzeugt“ werden. Beispielhaft seien hier Stupser zum Hebel „Fokus/Konzentration auf das Richtige“ vorgestellt. Ein Unterpunkt ist hier das in vielen Firmen relativ gängige Ziel: kürzere Besprechungen!

– Stellen Sie gut sichtbar eine Uhr in den Raum.

– Führen Sie Besprechungen (zeitweise) ohne Stühle, also im Stehen durch.

– Verändern Sie den Ausgangswert, terminieren Sie also 45 Minuten statt 60 Minuten.

– Beginnt die Mittagspause um 12:30 Uhr, starten Sie das einstündige Meeting um 11:30 Uhr.

– Rapid-Fire: bei Besprechungen mit bis zu zwölf Teilnehmenden eine Runde einführen, in der jede*r nur ein Hauptargument darstellen kann.

Ob oder wie diese Impulse anwendbar und hilfreich in der jeweiligen Firmenkultur werden können, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Positiv finde ich, dass diese und die anderen 95 Stupser uns anregen, unser gewohntes Verhalten zu hinterfragen.

Bei einigen der Nudges bemerke ich einen Reflex: das geht nicht, das kann man so nicht machen, zu riskant, das passt in die USA, nicht nach Deutschland. Und so weiter. Ich vermute, dass es Teamleitungen oder anderen Verantwortlichen ähnlich geht: es gibt Gründe für den Status quo.

Damit komme ich zum systemischen Reflektieren.

Im vorgestellten Buch werden als Gründe für ineffiziente Sitzungen genannt: Fehlen einer Tagesordnung, Dominanz von Einzelpersonen und Diskussionen, die im Kreis verlaufen.

Mit der Benennung von Ursachen werden die Lösungen unterschwellig mitgeliefert: eine Tagesordnung erstellen, die Redeumfänge angleichen, zielorientierte Diskussionen. Wenn das so klar erscheint, warum wird es dann nicht gemacht? Es gibt gute Gründe …

Mit einer systemischen Haltung sehe ich die als Problem bewerteten Verhaltensweisen (keine Tagesordnung, lang reden …) als Versuch einer Lösung an und nutze zur Reflexion folgende Fragen:

– Welche Probleme sollen durch eine fehlende Tagesordnung und lange Redebeiträge gelöst werden?

– Welche guten Absichten veranlassen die Beteiligten, sich so zu verhalten?

– Welchen Nutzen zieht das System (Team) aus einer ineffizienten Besprechung?

Fragen dieser Art mit einem Team nachzugehen, tragen zum einen zur Lösung bei, zum anderen kommen Team und Leitung weg von der Schuldzuweisung (Chef*in redet zu lang, ist zu weich/unstrukturiert/detailversessen …) hin zur Erforschung von Zusammenhängen.

Um Sie zu Antworten anzuregen, warum ineffiziente Besprechungen (ungeplante) Lösungsversuche aus guter Absicht sind, hier einige Ideen aus unserer Beratungspraxis:

– Wenn ich nicht soviel beitragen würde, wäre die Sitzung nach 5 Minuten vorbei.

– Ich habe den Blick über den Tellerrand und den muss ich den anderen vermitteln.

– Wir lassen uns so wie wir sind, wir haben alle unsere Eigenarten.

– Ich kann hier sowieso nichts ändern, bleibe ruhig und störe nicht.

– Indem bestimmte Themen nicht oder unfokussiert bearbeitet werden, verhindern wir das Ausbrechen tiefer liegender Konflikte zwischen x und y (/verhindern wir eine klare Entscheidung). Wir bleiben gemeinsam arbeitsfähig.

Reflexionen dieser Art können dazu beitragen, informelle Regeln ans Licht zu bringen und besprechbar zu machen. Wichtig ist dafür die Grundhaltung: schlechte Besprechungen werden nicht geplant, sie entstehen und bleiben durch das Zusammenwirken aller.

Wenn Sie sich auf den Weg machen wollen, um Ihre Besprechungen zu verbessern, können gute Gründe dafür sprechen, mit Strukturimpulsen zu beginnen oder auch mit einer systemischen Reflexion. Hilfreich erscheint mir, dass Sie die jeweils andere Strategie sozusagen griffbereit in der Tasche haben. Dass Sie beispielsweise eine systemische Reflexion mit dem Strukturimpuls „pro Tagesordnungspunkt nur die vorab vereinbarte Zeit, sonst vertagen“ in Handlung überleiten.

Andreas Rauchfuß

„MEET UP! Einfach bessere Besprechungen durch Nudging“, Martin J. Eppler, Sebastian Kernbach.

www.meetup-buch.de