„Was will die Mitarbeiterin?“ „Was will die Abteilung oder das Team?“ Diese Fragen stellen sich Führungskräfte, wenn sie versuchen Mitarbeitende oder Organisationseinheiten zu verstehen und darauf basierend Maßnahmen abzuleiten. Im Fokus der Fragen steht eine gewünschte Lösung – dieser Fokus kann zu eng sein. Hilfreicher kann der Blick auf Bedürfnisse und Interessen sein.
„Ich habe hier vor allem gelernt, stärker auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden und der Gruppe zu achten. Und darüber in einen Dialog zu treten!“ Dieses Fazit zog ein Teilnehmer einer viertägigen ModeratorInnenausbildung und erfand für sich den Namen „Bedürfniskompetenz“. Welchen Unterschied macht es, den Blick statt auf mögliche Lösungen zunächst auf Bedürfnisse und Interessen zu richten?
In der Konfliktmediation wird zwischen Bedürfnis/Interesse und Lösung unterschieden. Lösungen benennen in der Regel konkrete, wahrnehmbare Verhaltensweisen oder Dinge: „Wir sollten die Teamsitzung auf 1 Stunde verkürzen und Frau Schulze sollte die Moderation übernehmen.“ Schnell ist man dann bei einer Diskussion darüber, ob man nicht doch lieber 90 Minuten tagen solle und die Sitzungsleitung weiter beim Abteilungsleiter liegt. Der Fokus ist eng, diskutiert oder gestritten wird dann oft, ohne über beabsichtigte Wirkungen oder das dahinterliegende Bedürfnis zu reden.
Die Frage nach Bedürfnissen und Interessen geht einen Schritt zurück, sie eröffnet ein breiteres Spielfeld und die Möglichkeit für zusätzliche, noch nicht bedachte Lösungen. „Mir ist wichtig, dass wir unsere Zeit gut nutzen (Effizienz), wir uns zuhören – und eine entspannte Atmosphäre finde ich auch wichtig.“ Die eigenen Bedürfnisse zu benennen ist auch ein Kooperationsangebot. Es fällt schwer, gegen Effizienz, Entspanntheit und Zuhören zu sein. Argumente gegen Frau Schulze als Moderatorin oder 60 Minuten sind dagegen schnell auf dem Tisch.
Ein Bündel von Bedürfnissen kann eine gute Richtschnur sein, um die Qualität von Lösungen zu hinterfragen: Wie trägt die Lösung X dazu bei, zum Beispiel für Effizienz und Entspanntheit zu sorgen?
Im Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg sind Bedürfnisse ein wesentliches Element. Fühlen wir unsere Bedürfnisse erfüllt, entwickeln wir Gefühle wie kraftvoll, lebendig, selbstsicher und vergnügt. Sind unsere Bedürfnisse nicht erfüllt, entwickeln wir Gefühle wie bedrückt, schwerfällig und verletzt. Wer sich weiter mit dem Thema Bedürfnisse vertieft auseinandersetzen will, findet hier interessante Anregungen.
Andreas Rauchfuß, Dezember 2018
Literatur: Gewaltfreie Kommunikation, Eine Sprache des Lebens, Marshall B. Rosenberg