Gleichberechtigt führen – reizvoll und schwierig

„Zwei oder sogar mehrere als Gleichberechtigte in der Führung? Ganz schlechte Idee – das gibt immer Stress. Einer muss das Sagen haben!“ Diese Haltung ist durchaus verbreitet. Und trotzdem gibt es sie: Menschen, die gemeinsam als partnerschaftliche, gleichberechtigte Gruppe oder als Tandem einen Handwerksbetrieb, eine Sozietät, ein Unternehmen, eine Gemeinschaftspraxis oder eine Bürogemeinschaft erfolgreich führen. Ohne verheiratet zu sein. Im Prinzip. Oft geht es gut und die Partner/innen, die Institution und das Geschäft profitieren. Oft geht es nicht gut, es erfolgen Schuldzuweisungen, Verhaltensweisen des Partners lösen Ärger aus – es leiden sowohl das eigene Wohlbefinden als auch das der Mitarbeitenden und das des Geschäftes obendrein.

Streitpunkte

Jede/r wird aus eigener Erfahrung Fälle vor Augen haben, in denen sich gleichberechtigte Geschäfts-Partner/innen über Jahre hinweg gegenseitig kritisch beäugten, unzufrieden waren und sich irgendwann, wenn gar nichts mehr ging, getrennt haben. Ein Beispiel:

Vier gleichberechtigte Partner führen gemeinsam eine Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungs-Sozietät. Zwei sind später hinzugekommen, haben sich eingekauft. Alle entnehmen das gleiche Gehalt. Zwei bis drei Jahre läuft es gut, man gewöhnt sich aneinander und klärt unumgängliche Konflikte. Dann kommt es zu kleinen, unterschwelligen Streitereien, die Stimmung wird schlechter. Später bilden sich Fraktionen, Mitarbeitende müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Ehemänner und-frauen merken, dass die Lebensqualität leidet und machen ihrerseits Druck: „Lass‘ dir das nicht gefallen, sprich es an und klär‘ das!“ Worum geht es aus Sicht der Beteiligten?

–          Ich muss für den gleichen Umsatz viel mehr tun, weil ich die schwierigeren Kunden bekomme!

–          Wir haben die gleiche Entnahme, aber ich arbeite viel mehr als G.!

–          Um das Gemeinsame, also Büro und Personal, kümmere nur ich mich, die anderen lassen das einfach laufen.

–          R. kauft viel zu viel und viel zu teuer ein. Die Software aus dem letzten Jahr läuft immer noch nicht richtig und er will schon wieder eine neue kaufen.

Nach mehr als 10 Jahren trennte man sich „mühsam“, die Partner teilten sich und die Kunden auf zwei neue Gesellschaften auf.

Die genannten Problemsichtweisen finden sich ähnlich auch in anderen Branchen. Letztlich geht es meistens um folgende Themen.

Ungerechte Verteilung von Input zu Output:

Das Input-Output-Verhältnis wird im Vergleich zum Partner als ungerecht empfunden. Output ist vor allem die Entnahme oder das Gehalt. Fachliche oder gesellschaftliche Anerkennung sowie die Qualität oder der „Freudefaktor“ von übernommenen Aufgaben sind ebenfalls wichtige Aspekte. Auch der Gedanke „Wenn es hier mal nicht mehr läuft: Was kann ich rausziehen (Wissen, Kontakte, Kunden, Reputation …), um eigenständig etwas auf die Beine zu stellen?“ hat auf der Outputseite Bedeutung.

Beim Input stehen eingesetzte Arbeitszeit oder investiertes Kapital an erster Stelle, dicht gefolgt von „Engagement für die gemeinsame Sache“. „Früher erworbene Verdienste“ spielen auf der Inputseite eine besondere Rolle. Darunter wird zum Beispiel die Entwicklung der Geschäftsidee, das Einbringen eines großen Kunden oder die intensive Arbeit an der qualitativen Weiterentwicklung des eigenen Produktes verstanden. Diese Verdienste bergen großes Konfliktpotenzial, da die entsprechenden Aktivitäten meist lange zurückliegenden und es nie zu einer gemeinsamen Bewertung kam.

Schlechte Arbeit des/der Anderen.

Die Wahrnehmung, dass der Partner oder die Partnerin in zugewiesenen Aufgabenbereichen nicht so gut arbeitet, wie man es selbst erwartet oder selbst machen würde, ist weit verbreitet. Sie bezieht sich auf alle vorstellbaren Bereiche unternehmerischen Handelns: Finanzen („Sorglos!“), Mitarbeiterführung („Lässt es laufen!“ oder „Choleriker!“), Umgang mit Kunden („Kein Gespür, kümmert sich nicht!“) etc.

Auch das Selbstmanagement des Gegenüber kann zu leisen oder indirekten Klagen Anlass geben: Er verzettelt sich, sie hat nur die Strategie im Kopf, er raucht zu viel.

Die Bewertung der Arbeit des/der anderen fällt oft auch deshalb schlecht aus, weil bestimmte schlechte Eigenschaften zugeschrieben werden: viel zu penibel, unsortiert, oberflächlich … Hierdurch gibt es viele Verbindungen zur nächsten Kategorie der Konfliktthemen.

Die Chemie stimmt nicht.

Eine nicht passende Chemie wird gerne entweder als Ursache für oder als Folge von Interessenskonflikten herangezogen. Einig sind sich die Beteiligten in der Einschätzung, dass die Arbeit an der Chemie etwas sehr Schwieriges ist, oft bestätigt durch erfolglose Versuche: „Ich habe ihn zum Grillen eingeladen und mich bei der letzten Gesellschafterversammlung total zurückgehalten. Es bringt nichts, er blockiert weiterhin. Wir sind zu verschieden!“ Misslungene Lösungsversuche verfestigen die schlechte Stimmung. Die Beteiligten wissen ganz einfach nicht, wie sie aus der Situation herauskommen können, es fehlt ihnen an Handwerkszeug. Darüber hinaus baut sich langsam die Sichtweise auf, dass das Verhalten des Gegenüber quasi genetisch bedingt sei: er oder sie kann sich nicht anders verhalten. Das bestätigt die eigene Hilflosigkeit und liefert Begründungen dafür, konsequente und mit Unsicherheit und Risiko verbundene eigene Verhaltensänderungen zu unterlassen.

Unterschiedlichkeit ist schön, macht aber Arbeit …

Oft ist es so, dass sich gleichberechtigte Partner/innen gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit zusammenfinden: die Handwerkerin und der Verkäufer, die Emotionale und der Sachliche, die Geldorientierte und der Kreative. Daneben muss es immer Verbindendes geben, z.B. etwas Sinnvolles herzustellen oder ausreichend Geld zu verdienen.

Wird die Unterschiedlichkeit als Bereicherung wahrgenommen, ist alles bestens. Werden Unterschiedlichkeiten in der Fachlichkeit oder „im Zwischenmenschlichen“ als Belastung wahrgenommen, haben die Wenigsten Instrumente zur Hand, die Probleme zu lösen. In ihren Ausbildungen sind Steuerberater/innen, Mediziner/innen und Handwerker/innen sachlich und fachlich gut auf ihren Beruf vorbereitet worden. Soziale Beziehungen zu gestalten ist selten Gegenstand der Lehre.

In problematischen Situationen bleiben deshalb vor allem Intuition und Erfahrung als Ratgeber. Das kann erfolgreich sein, birgt aber die Gefahr, (zu) wenige Lösungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen und auf Alternativen, die sich durch einen gut bestückten Instrumentenkoffer eröffnen, zu verzichten.

… und erfordert Handwerkszeug

Die folgenden Haltungen und Vorgehensweisen erweisen sich in der Beratung von gleichberechtigten Partnern immer wieder als hilfreich.

Alternativen zu Ende denken

Gelingt es, sich zeitweise vom Problem und den damit verbundenen negativen Gefühlen zu lösen, kann ein Rückgriff auf alte Weisheiten den Weg in die richtige Richtung weisen:

Take (love) it, leave it or change it.

Oder:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Beide Weisheiten bieten verschiedene Grund-Strategien an und wollen dazu anregen, konsequent danach zu handeln. Problematische Partner-Beziehungen zeichnen sich dadurch aus, dass großer Druck besteht, zu handeln. Ein oft hilfreicher Schritt davor wird halbherzig angegangen: konsequent vor zu denken.

Menschen, die lange in einen partnerschaftlichen Konflikt verstrickt sind, neigen dazu, Alternativen an-, aber nicht zu Ende zu denken, denn: Jede Alternative hat unerwünschte Nebenwirkungen.

„Wenn ich wirklich mehr Entnahme als er fordere, wird hier gar nichts mehr gehen!“ Ein Denken dieser Art verhindert Entwicklung. Eine Möglichkeiten und Optionen schaffende Frage würde an dieser Stelle wie folgt lauten: „Unter welchen Bedingungen kann es möglich sein, die Frage der Entnahme anzusprechen und unter welchen Bedingungen könnte eine höhere Entnahme für mich für ihn tragbar sein?“ Die Alternative bzw. Strategie „höhere Entnahme für mich“ müsste so beschrieben werden, dass sie im Prinzip möglich ist. Alternative Strategien müssten ebenfalls zu Ende gedacht werden: „Mehr Arbeitseinsatz durch ihn“ oder auch „Trennung“.

Es gilt, mögliche Alternativen/Szenarien des eigenen und oder gemeinsamen Verhaltens und der möglichen Folgen zu entwickeln. Und im Anschluss zu bewerten und erst dann zu (ver)handeln.

Perspektivwechsel schafft Optionen

Die gängige Haltung in einem Konflikt ist in der Tendenz folgende: Ich bin mir und meinen Verhaltensweisen gegenüber wohlwollend, ich verstehe, akzeptiere und entschuldige („Ich konnte ja gar nicht anders reagieren!“). Dem oder der anderen unterstelle ich Absicht (an für mich schlechten Folgen), Unsachlichkeit, Fokussierung auf das eigene Interesse, Beschränktheit in den Fähigkeiten, Nicht-verstehen-wollen  etc.

Die Folgen einer solchen verständlichen und gleichwohl beschränkten Sichtweise für den Prozess einer gemeinsamen Lösungsfindung sind beträchtlich: Täter- und Opferrolle sind klar verteilt, dem oder der Gegenüber werden feste Rollen und Positionen zugeschrieben. Die Folge: Die Anzahl möglicher Lösungen verkleinert sich ständig. Eine bessere Strategie ist es zu versuchen, die Anzahl möglicher Lösungen zunächst zu erhöhen, um dann eine passende auszuwählen.

Vor erfolgreichen Konfliktlösungen wird ver- und damit auch gehandelt. Ein Blick auf den klassischen (Orient-!) Teppichkauf bietet sich geradezu an. Eine Fokussierung auf allein ein Merkmal (Preis) verdirbt den Spaß und das Fortkommen in der Sache. Zusätzliche Aspekte werden auf das Spielfeld gebracht und erleichtern beiden Parteien eine gesichtswahrende und als für alle gut darzustellende Lösung: der Tee, ein kleiner Läufer, ein Tuch, ein zusätzlicher Käufer aus der Reisegruppe … Die neuen, zusätzlichen Aspekte basieren auf Vorüberlegungen: Was kann für den anderen interessant sein, woran hat sie noch Interesse? So wird vermieden, dass man sich in Positionen einbetoniert. Die Situation wird „flüssiger“.

Zurück zur gleichberechtigten Partnerschaft: Es geht darum, die Perspektive der anderen Partei einzunehmen und sich dadurch neue Zugangs-Möglichkeiten zu erschließen. Dazu muss ich bereit sein, dem anderen gute Absicht zu unterstellen und ich muss fähig sein, mich in ihn oder sie hinein zu versetzen. Nicht einfach, aber zweifach lohnenswert: Zum einen erhöhen Sie auf der sachlichen Ebene Lösungsoptionen, indem Sie beispielsweise beim Thema „Höhe der Entnahme“ den Aspekt der Arbeitszeit mit hinein bringen. „Wegen deiner Familiensituation ist es dir wichtig, am Freitag sehr früh aufzuhören. Ich kann mir vorstellen, dass wir da eine generelle Lösung finden können!“ Zum anderen sorgen Sie für Entspannung auf der Beziehungsebene. Ein solcher Vorschlag macht der anderen Seite deutlich: Er hat sich mit meiner Sicht auseinandergesetzt und macht mir ein Angebot.

Interesse vor Lösung

Ein plakatives Beispiel verdeutlicht den Unterschied zwischen Interesse und Lösung: Zwei Schwestern streiten sich um eine Orange. Als mögliche Lösungen werden in Betracht gezogen:  halbieren oder Münzwurf. Hilfreich wäre für beide, sich über ihre Interessen auszutauschen: Die eine benötigt die Schale für einen Kuchen, die andere den Saft für ihren Cocktail.

Probleme im partnerschaftlichen Kontext sind etwas komplexer, das Prinzip bleibt das gleiche: Einen Schritt zurückgehen, eigene Interessen formulieren und andere Interessen akzeptieren, um damit das Feld möglicher Lösungen deutlich zu vergrößern.

In der Mediation, der Konfliktverhandlung mittels externer, neutraler Begleitung, ist es ein zentraler Aspekt, dass die Parteien ihre Interessen benennen, bevor über Lösungen verhandelt wird! Manchmal wird um Prozentpunkte bei der Verteilung der Entnahme verhandelt und darüber vergessen, welche Interessen die Parteien „eigentlich“ verfolgen: Worum geht es mir, was ist mir wichtig?

Verstehen überprüfen

Das letzte „Instrument“ ist eine Anregung zu einer kleinen und sehr wirksamen Änderung in der Kommunikation. Wenn sich beispielsweise beide Parteien über ihre Interessen ausgetauscht haben, ist es sehr wirkungsvoll, wenn die jeweils andere Partei wiedergibt, was bei ihr als Interesse angekommen ist. Ersparen Sie sich das Frage-Antwort-Spiel: „Hast du mich verstanden?“ – „Ja!“. Geben Sie wieder, was Sie verstanden haben und bitten Sie den anderen um Korrektur oder Bestätigung. Das schafft zum einen Klarheit und Sicherheit, zum anderen wird meistens der Gegenbeweis für die Annahme geliefert, dass das, was ich gesagt habe, vom anderen so verstanden wird, wie ich es gerne hätte. Die Möglichkeit des Missverstehens (ohne schlechte Absicht) wird akzeptiert, wodurch in Zukunft mehr darauf geachtet wird zu überprüfen, was beim anderen angekommen ist.

Andreas Rauchfuß, rauchfuss@move-muenster.de