Treten in der betrieblichen Kommunikation Störungen und Konflikte auf, wird oft der Wunsch geäußert, verbindliche Regeln für die Kommunikation in Meetings und darüber hinaus zu vereinbaren. Der Artikel setzt sich damit auseinander, worauf beim Erarbeiten und Vereinbaren dieser Regeln zu achten ist.
In aktuell drei Beratungsprozessen wünschen sich Teams oder Leitungen, explizit Regeln für die Kommunikation miteinander zu formulieren.
Auslöser, Ziele und Hoffnungen
Die konkreten Auslöser, Ziele und Hoffnungen in diesen Fällen geben einen Überblick über Situationen, in denen „Kommunikationsregeln“ als Lösung gewünscht werden:
- Bestehende Konflikte in einem Team sollen reduziert beziehungsweise vermieden werden. Eine beteiligte Leitungskraft wird von Mitarbeitenden als Hauptursache für Konflikte festgemacht.
- Das Zusammenwachsen zweier Gruppen mit ganz unterschiedlichen Kulturen zu einem Team soll durch gemeinsame Kommunikationsregeln unterstützt werden.
- Die Zusammenarbeit in wichtigen, abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen soll durch Vereinbarungen zur Kommunikation lösungsorientierter als bisher erfolgen.
Gemeinsam ist allen Fällen, dass dysfunktionale Kommunikationsmuster oder Verhaltensweisen durch andere ersetzt werden sollen und dass alle Beteiligten sich wundern, warum „man“ sich nicht an ganz selbstverständliche Regeln halten kann. Oft wird auch deutlich, dass es eine Ahnung bei einigen, nicht allen Mitarbeitenden gibt, dass Regeln keine wirklich dauerhaft wirksame Lösung sind – eine andere Lösungsoption, „Konflikte ansprechen und bearbeiten“, allerdings Gefahren birgt und nicht von allen Beteiligten gewünscht wird.
Der Nutzen der „schlechten“ Kommunikation
Aus Beratersicht ist es sinnvoll, zunächst zu versuchen, herauszubekommen, welchen Sinn und Nutzen die scheinbar dysfunktionalen Muster für einzelne Mitglieder des jeweiligen Systems und für die Systeme selbst (Team, Abteilung etc..) haben.
Eine Option ist die Suche nach „Ausnahmen“: wird das beanstandete Verhalten immer gezeigt, ist also fast genetisch begründet („der ist so“) oder scheint die Person wählen zu können. Im zweiten Fall stellt sich die Frage, was Menschen dazu (ver)führt, z.B. in Meetings laut zu werden und unangemessen dominant aufzutreten, während es ihnen im Kontakt mit Beratern oder Kunden gut gelingt, den richtigen Ton zu finden?
Ein anderer Ansatz ist es, zu untersuchen, was durch das aktive Aufrechterhalten von Konflikten verhindert wird. Konflikte erhalten oft den Status Quo, sie führen zu einer Art Stillstand, wenn keine der beteiligten Personen oder Gruppen die Macht oder Fähigkeit hat, den Konflikt zu beenden. Konflikte und in der Regel die damit verbundenen „Gegner“ eignen sich auch als Begründung dafür, dass man selbst ja nichts machen könne. Nicht geklärte Konflikte verhindern auch Enttäuschungen: solange z.B. noch darüber gestritten wird, welche Weisungsbefugnisse eine Teamkoordinatorin hat, muss ich mich als Kollege nicht damit abfinden, dass ich weniger zu sagen habe als meine ehemalige Kollegin.
Am Ende solcher Explorationen sollte die Entscheidung getroffen werden, ob die Erarbeitung von Kommunikationsregeln oder eine andere Variante (Konfliktklärung, Versetzungen, Auflösen des Meetings …) die wirksamere Lösung ist.
Handlungsempfehlungen
Gruppenprozess oder Einzelentscheidung?
Zu Beginn sollte festgestellt werden, ob es einen gemeinsamen Erarbeitungsprozess mit einer konsensualen Entscheidung oder eine Vorgabe durch die Leitung gibt. Letzteres ist ungewöhnlich, kann aber mit dem Hinweis, dass die Regeln auf Probe gelten und nach einer gemeinsamen Reflexion angepasst werden können, eine hilfreiche Alternative darstellen.
Bedarf oder Regel?
Auch in diesem Artikel beziehe ich mich auf Kommunikationsregeln – es handelt sich um einen eingeführten Begriff. Alternativ kann man vereinbaren, dass die Beteiligten ihren Bedarf und ihre Wünsche hinsichtlich guter und gelingender Kommunikation äußern und alle am Ende die erarbeitete Liste als Leitschnur zur Kenntnis nehmen. Hat jemand einen Vorbehalt gegenüber einem geäußerten Bedarf, wird das benannt und verhandelt. Der Vorteil der Bedarfsnennung liegt darin, dass er auf Ich-Botschaften fokussiert: „für mich ist wichtig, dass …“. Werden Regeln erarbeitet, kann es schnell zu Appellen kommen („wir/man/ hier sollte(n) …“), die auf der Gefühlsebene Widerstand mobilisieren.
Überprüfung und Konsequenzen
Im Erarbeitungsprozess sollte darauf hingewiesen werden, dass die Verantwortung für das Einfordern „regelkonformer“ Kommunikation bei allen Personen einzeln und bei der im jeweiligen Setting zuständigen Leitungskraft liegt. Die Verantwortung kann nicht gänzlich an die Leitung delegiert werden.
Ich rate dazu, direkt nach der Erarbeitung am Ende von Sitzungen regelmäßig zu reflektieren:
- Was ist uns (wem) gut gelungen (ganz konkrete, positive Beispiele auch von Einzelpersonen hervorheben!)?
- Wo gab es Unsicherheit: war das noch ok? Was hat dazu beigetragen, dass ich mich dazu (nicht) geäußert habe?
- Welche Situation war eine „Regelverletzung“ oder „Bedarfsmissachtung“, was konkret hat mich gestört, welche Gefühle und welches Verhalten hat das bei mir ausgelöst? Welchen Wunsch habe ich in Bezug darauf?
- Wer kann was dazu beitragen, dass die Regel/der Bedarf geachtet wird?
Gerade Frage 1 ist wichtig – und wird oft „vergessen“, weil das Positive ja offensichtlich erscheint. Erst durch das Benennen positiver Beispiele und ihrer Wirkungen werden relativ abstrakte Regeln wie „Ich beteilige mich aktiv an der Sitzung.“ oder „Ich schätze die Meinungen und Sichtweisen anderer“ konkret und fassbar.
Ergänzend zu einer zu Beginn regelmäßigen Reflexion kann z.B. nach 6 Monaten geprüft werden:
– Wie hat sich unsere Kommunikation geändert?
– Wie wollen wir weiter mit den Regeln arbeiten?
– Wie können wir nachbessern?
– Welche Konflikte (um was, zwischen wem) prägen nach wie vor unsere Kommunikation?
– Wie wollen wir damit umgehen?
Fazit: Regeln können helfen – dafür müssen sie nach meiner Erfahrung durch Reflexion in die Kommunikation gebracht werden. Sonst bleiben sie ein netter Papiertiger.
Eine umfassende Beschreibung von Werten, kulturellen Eigenschaften und anderen Aspekten, die eine gelingende Kommunikation fördern, finden Sie bei Frederic Laloux, Mike Kauschke – Reinventing Organizations auf den Seiten 231 und 232. Siehe dazu auch den Beitrag von Johannes Massolle.