Herausforderung und Chance zugleich!
„Oft bringt erst Distanz zwei Menschen einander näher“
(Annette Andersen, deutsche Lyrikerin)
Die eigenen Mitarbeiter*innen sind im Homeoffice verschwunden? Und möglicherweise wird auch nach Corona-Zeiten einiges davon erhalten bleiben? Das verändert die Führungssituation deutlich.
Vielfältige Kontakt- und Kommunikationsanlässe, die es im gemeinsamen Büroalltag gibt, sind plötzlich durch telefonische Absprachen und Video – Konferenzen ersetzt. Gespräche mit Mitarbeiter*innen zwischen Tür und Angel entfallen.
Es stellen sich möglicherweise durchaus bekannte und herausfordernde Fragen ganz neu:
- Wann fühlen sich meine Mitarbeiter*innen kontrolliert oder von Leitung alleine gelassen?
- Soll ich mal eben nachfragen oder doch besser bis zum nächsten vereinbarten Termin warten?
- Intuitives Führen, Stimmungen wahrnehmen und spontan reagieren – kann das ersetzt werden?
- Was machen meine Mitarbeiter*innen eigentlich? Kann ich frühzeitig mitbekommen, wenn etwas droht falsch zu laufen?
- Wie arbeiten die Kollegen*innen eigentlich zusammen, wie ist die Stimmung im Team?
Aus unserer Sicht liegt in dieser Situation die große Chance, sich mit dem eigenen Führungshandeln auseinanderzusetzen. Sie können Ihre Führungsroutinen und gewachsene Selbstverständlichkeiten reflektieren und hinterfragen.
Was gilt es für die neue Situation zu erhalten oder möglichst gut zu ersetzen und was sollte aufgegeben, verändert werden oder ganz neugestaltet werden?
Hier finden Sie zunächst einige Reflexionsfragen zu Ihrem Führungshandeln:
- Wie gelingt es Ihnen, Ihre Präsenz-Teamsitzungen zielführend und effizient zu gestalten und zu konstruktiver Zusammenarbeit beizutragen?
- Wie sorgen Sie im gemeinsamen Arbeitsalltag dafür, zu erfahren, was Ihre Mitarbeiter*innen wirklich bewegt?
- Was delegieren Sie, oder was machen Sie doch oft mal lieber eben selbst?
- Wie würden Sie Ihre Feedback-Kultur beschreiben?
- Wie tragen Sie dazu bei, dass Ihre Mitarbeiter*innen eigenständig, verbindlich und motiviert arbeiten?
Und vielleicht fallen Ihnen noch weitere hilfreiche Reflexionsfragen ein!
Die nun folgenden Anregungen für das Führen auf räumliche Distanz können dazu beitragen, dass sich daraus keine soziale und psychische Distanz entwickelt. Und ganz nebenbei gilt für viele dieser Anregungen, dass sie im Prinzip ebenso für das Präsenz-Führen hilfreich sind:
Sich zu sehen ist immer besser, als sich nur zu hören
Nutzen Sie möglichst oft einen Videokanal für den Kontakt zu Ihren Mitarbeiter*innen, selbst für kurze Absprachen zu zweit. Für viele Menschen zeichnet sich eine motivierende und energiestiftende Arbeitsatmosphäre auch dadurch aus, dass mal eben jemand den Kopf zur Tür reinsteckt, etwas fragt oder den Wunsch nach einer kurzen Absprache mit einem Kaffee in der Hand äußert.
In einen gemeinsamen Kalender können störungsfreie Arbeitszeiten eingetragen werden, um den Zettel an der Bürotür oder die geschlossene Bürotür zu ersetzen.
Wenn Sie als Führungskraft mit einer*m Mitarbeiter*in per Video-Tool im Gespräch sind, wechseln Sie am besten Ihre Blickrichtung zwischen dem Blick in die Kamera (dann fühlt Ihr Gegenüber sich angeschaut) und dem Blick auf die Person.
Beziehung vor Inhalten
Nehmen Sie Ihr Gegenüber wahr. Achten Sie auf Mimik, Stimme und auf Veränderungen. Sprechen Sie Ihre Wahrnehmungen und Ihre Vermutungen über Stimmung und Emotionen an. Sie geben somit Raum, auch über Sorgen und Ängste zu sprechen.
Zusätzlich rückt das Private durch Homeoffice mehr in den Blick. Sie sehen möglicherweise Räumlichkeiten, Einrichtung und Familienmitglieder, die durchs Bild laufen. Zusätzlich hat in Corona-Zeiten die private Situation der Mitarbeiter*innen deutlich mehr Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit als üblicherweise. Schenke Sie der gesamten Situation Ihre Aufmerksamkeit. Vielleicht können Sie dezent einige private Aspekte ansprechen. Dann sollten Sie als Führungskraft auch etwas Privates preisgeben.
Es geht darum, eine wertschätzende Kommunikation im Miteinander zu etablieren oder zu erhalten.
Mehr Zeit für Gespräche mit den einzelnen Mitarbeitern*innen
„Ich möchte wissen, wie es Ihnen geht, womit Sie gerade beschäftigt sind, wie Sie klarkommen, was Ihnen in der letzten Zeit aufgefallen ist. Haben Sie Anregungen, Ideen, was wir verbessern können … .“
Wir sprechen dabei von Erkundungs- und Kontaktgesprächen.
Solche Gespräche, regelmäßig geführt, geben Ihnen als Führungskraft Sicherheit informiert zu bleiben, Entwicklungen und Unterstützungsbedarf rechtzeitig zu erkennen. Den Mitarbeitern*innen geben Sie damit die Sicherheit, gesehen zu werden und ein Zeichen, dass ihre Arbeit und ihre Kompetenzen wichtig und gefragt sind.
Als Führungskraft haben Sie unter neuen Bedingungen die Möglichkeit Ihre Mitarbeiter*innen neu kennen zu lernen, andere Seiten zu erleben und bislang verdeckte Kompetenzen und Interessen zu entdecken. Halten Sie nicht an Ihren alten Bildern fest!
Mit Vertrauen und ernsthaftem Interesse führen
Ergibt sich der Blick darauf, was, wann und wie die Mitarbeiter*innen arbeiten, nicht mehr nebenbei (was selbst im Präsenzalltag oftmals schon nicht gut funktioniert), dann braucht es eindeutige und miteinander vereinbarte Ziele und Aufgabenstellungen und klare Aussagen wie Rückmeldung, Rückfragen und Nachhalten gestaltet werden sollen. Die erlebte Sinnhaftigkeit wird bedeutsamer, Klarheit über die eigenen Handlungsspielräume wird wichtiger. Geben Sie wesentlich häufiger Feedback, insbesondere positives Feedback. Schulen Sie Ihren Blick für das Gelungene. Dann können Mitarbeiter*innen in der Regel auch leichter kritische Anmerkungen und Anregungen annehmen.
Mit Online-Konferenzen und Online-Tools den Teamzusammenhalt stärken
Übertragen Sie möglichst viel Vertrautes, was vorher gut funktioniert hat, auf die Online-Kommunikation und ändern Sie möglichst schnell all das, was auch vorher nicht gut funktioniert hat.
Als Grundsatz sollte gelten, das Team, also das Miteinander der Kollegen*innen vor die Inhalte und vor allem vor die Technik zu stellen. Sorgen Sie dafür, dass alle Anwesenden im Online-Treffen von allen gesehen werden (wir empfehlen die Kachelansicht), zu Wort kommen und gehört werden.
Online-Kommunikation fordert mehr Konzentration von allen Beteiligten. Allein deswegen macht es Sinn, die Besprechungseinheiten kürzer zu halten und dafür häufiger in Kontakt zu treten. Visualisierung während der Online-Sitzungen erleichtert die Konzentration. Einfache und nachvollziehbare Protokolle ersetzen Nachfragen und Erinnerungen.
Da es online wesentlich einfacher ist, sich bei Konflikten und negativen Gefühlen auszuklinken oder anderes herum, Konfliktklärung online um einiges schwieriger ist als im persönlichen Miteinander, sollte alles getan werden, um Konflikten vorzubeugen.
Das bedeutet nicht, auf Feedback, Kritik und Unterschiede zu verzichten. Vielmehr geht es darum, gerade in Online-Teamsitzungen Raum dafür zu geben, über Unterschiede zu sprechen, Gefühle und dahinterstehende Bedürfnisse zu erfragen und zu benennen. Es gilt Verstehen und Verständnis zu ermöglichen. Achtung: Verstehen heißt nicht gleich Zustimmen!
Auch Ihre Mitarbeiter*innen fragen sich vielleicht, „Womit sind die Kollegen*innen eigentlich gerade beschäftigt und wie hängt das mit meinen Aufgaben zusammen? Muss ich meinen Kollegen*innen etwas mitteilen, zuliefern.“ All das kann mit räumlicher Distanz leichter aus dem Blick geraten. Die Arbeit mit gemeinsamen Plattformen kann hier hilfreiche Unterstützung bieten, wie zum Beispiel Trello-Boards* (Trello ist ein flexibles Online-Tool, mit dem Sie Ihre Projekte und Aufgaben verwalten und alles organisieren können).
Es gilt im Online-Kontakt, mehr noch als im Präsenz-Kontakt, explizit zwischen informellem Austausch und anlassbezogener Kommunikation zu unterscheiden. Auch hier ist wieder Ziel, Sicherheit und Orientierung zu geben. Regen Sie informelles Miteinander der Kollegen*innen untereinander an. Verabschieden Sie sich als Führungskraft zum Beispiel mal etwas früher und wünschen viel Spaß beim gemeinsamen Kaffeetrinken.
Insgesamt gilt wie immer! Kein Vorgehen ist immer für alle Teams gleich richtig. Vielmehr gilt es, gemeinsam neue passende Routinen und Spielregeln zu entwickeln. Und dabei hilft, ebenfalls wie immer, eine große Portion „Metakommunikation“.
Was brauchen wir? Wie geht es uns mit …? Was wollen wir ausprobieren? Was gelingt uns gerade gut? Was vermissen wir und wie können wir Ersatz schaffen?
Die drastischen Veränderungen, wie sie durch die räumlichen Distanzregeln erzwungen wurden, können viele Mitarbeiter*innen aufgeschlossener machen, Veränderungen zu erproben und mitzutragen.
Stephanie Frenzer
*Link zu Trello: https://trello.com/de