„Buchhaltung wird bei uns rollierend erledigt, jede*r ist mal dran.“

Durch unsere Beratungen und Seminare wissen wir, dass Teamsitzungen in vielen Organisationen entweder von der jeweiligen Leitung oder mal von dieser, mal von jener Person geleitet werden. Übernehmen Mitarbeitende die Moderation, werden dafür freiwillige Wechsel und solche nach Alphabet vereinbart. Die Sitzungsleitung wechselt dann mit jeder Sitzung oder zum Beispiel nach 2 Monaten.

Das bedeutet: Wer die Team-Sitzungen leitet, wird in diesen Organisationen nach den Kriterien Mitgliedschaft (Jedes Mitglied muss), Gerechtigkeit (Jede*r muss, nur die Halbtagsstellen …) und Hierarchie (Leitung leitet) entschieden.

Die Organisation der Buchhaltung wird selten anhand der genannten Kriterien vergeben.

Die Kriterien Fähigkeit und Erfahrung finden im Rahmen der genannten Verfahren keinerlei Berücksichtigung. Das erinnert an die Vergabe sogenannter (unliebsamer) Querschnittsaufgaben. In Bürogemeinschaften werden zum Beispiel die Aufgaben „Müllentsorgung“ oder „Kühlschrank von nicht mehr zum Verzehr geeigneten Esswaren befreien“ nach den gleichen Prinzipien verteilt.

Das ist interessant und sagt auf den ersten Blick etwas über die Bedeutung von Sitzungsleitung aus. Jeder (Depp) kann das, Hauptsache, es ist gerecht. Die wirkungsvolle Leitung von Sitzungen scheint demnach keinen hohen Stellenwert zu haben.

Diese Hypothese steht allerdings im krassen Gegensatz dazu, wie viel Zeit im informellen Bereich dafür verwandt wird, darüber zu reden, wie schlecht Sitzungen verlaufen oder eine Person die Sitzung leitet. Die Bedeutung von guter/schlechter oder auch (nicht) hilfreicher Sitzungsleitung wird gesehen, aber selten im formalen Kontext thematisiert.

„Irgendwie“ ist wahrscheinlich allen Beteiligten klar, dass die Güte der Sitzungsleitung über die Güte der Sitzung und der Ergebnisse mitentscheidet.

Warum und wozu werden Fähigkeiten und Erfahrungen rund um Moderieren nicht/selten thematisiert?

These 1: Es würden Unterschiede bezüglich Fähigkeiten zwischen Kolleg*innen gemacht – das kann zu einer Belastung des Sozialen führen.

These 2: Mit dem Blick auf Fähigkeiten wird mindestens implizit auch thematisiert, ob die Leitungsperson die notwendigen Fähigkeiten besitzt. Das könnte gefährlich sein.

These 3: Die Mitarbeitenden glauben, dass der*die Chef*in alles in der Hand haben will – also auch die Sitzungsleitung. Es wird nur in ob (leitet Chef*in, ja oder nein) und nicht in wie gedacht (wie kann Einfluss/Kontrolle durch Chef*in gewährleitet werden und wie kann Eigenverantwortung der Mitarbeitenden gestärkt werden).

These 4: Wird die Moderationsrolle dauerhaft an ein Teammitglied mit den entsprechenden Fähigkeiten delegiert, wird die Gefahr gesehen, dass diese Person mindestens informell eine bedeutsame Rolle im Team erhält: sie klärt vor der Sitzung Themen mit der Leitung, bespricht mit ihr nach und stärkt insgesamt die Beziehung – und ihren Status. Das wirft neue Fragen auf.

These 5: Der Sinn der Sitzung (z. B. Info-Austausch zwischen Bereichen) wird in Frage gestellt. Dann ist es ökonomisch, keine Zeit für die Optimierung zu verschwenden. Oder als Mitarbeitende*r eine Sitzung zu leiten, deren Zweck ich nicht teile.

Auf Basis dieser Überlegungen entstanden die folgenden Anregungen für die Gestaltung von Sitzungen und die Verteilung der Rolle Sitzungsleitung:
  • Es wird gemeinsam reflektiert,
    – welche Ziele mit der Sitzung erreicht werden sollen/können,
    – welche Mitglieder (für Teile der Sitzung) die richtigen sind,
    – ob und wie die Leitung die Sitzung moderiert,
    – wie ein Modell „Mitarbeitende*r leitet“ aussehen könnte und wer die Fähigkeit dafür besitzt.
    Diese Reflexion wird für die nächste Sitzung angekündigt. So besteht die Chance der „sozialen Vorbereitung“.
  • Mein persönlicher Tipp: 2 Personen stehen dauerhaft für die Moderation zur Verfügung. Sie verantworten selbst, wer wann leitet. Sie schlagen vor und vereinbaren das Verfahren mit allen, wie Eingangsrunde und Festlegung der Tagesordnung sowie die Dokumentation gestaltet werden.
  • Wenn Leitung (weiterhin) moderiert: eine „Moderationsassistenz“ checkt in den Sitzungen, ob die Übernahme der Moderationsrolle durch eine andere Person in einem aktuellen Moment sinnvoll ist.
  • Alle 3 Monate wird planmäßig die Sitzungsleitung gemeinsam reflektiert, z.B.:
    – Verhältnis Soziales und Fachliches
    – Eingangsrunde und Festlegung der Tagesordnung
    – Dokumentation
    – Beteiligungsniveau
    – …
  • Es hilft, wenn Teilnehmende der Sitzung, zum Beispiel die, die diesen Artikel gelesen haben, auf gute Momente von Sitzungsleitung oder auf hilfreiches Verhalten von Teilnehmenden achten und ihre Beobachtung kommunizieren: „Lisa, gut, dass Du gesagt hast, dass du keine weiteren Infos benötigst und wir alle dadurch Zeit gespart haben!“ Das kann in zweifacher Sicht einen Kulturwandel einleiten: Verhalten, dass sich positiv auf den Prozess auswirkt „darf“ benannt werden und der Fokus „Prozess/Soziales“ wird neben dem Fachlichen betont.

Andreas Rauchfuß